Eine der schwersten Prüfungen meines Lebens war/ist die Trennung.
Als ich mit 16 Jahren ein Land verlassen habe, um in ein anderes zu kommen, war ich gespannt und auch froh. Ich freute mich, auf den Neuanfang. Fern von allen meinen Identitäten.
Plötzlich durfte ich mich neu entdecken. Ich war nicht mehr die Tochter von XY oder die Freundin des bekannten Jungen. Ich war niemand und durfte alles sein.
Als mein Vater mit 55 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben war, habe ich getrauert. Tief und ausgiebig. Ich nahm Abschied. Mit dem ganzen Herzen.
Wie sehr mich die Trennung von meinem Mann aus der Bahn werfen würde, war mir nicht im Entferntesten klar.
Ich frage mich, ob es leichter wäre, wenn ich ihn hassen würde. Oder wenigstens nicht mögen.
Wenn ich für die wunderbaren Jahre nicht dankbar wäre. Wenn ich nur mehr Wut und weniger Trauer und Liebe empfinden würde.
Aber ich kann`s nicht. Ich bin nicht böse oder wütend.
Ich bin einfach voller Liebe und am Boden zerstört.
Die Wunde ist so riesig, dass da kein Pflaster drauf passt. Da bräuchte ich eher einen Ganzkörper-Verband.
Wann wird`s leichter?
Diese Frage quält mich tagtäglich.
Die Antwort ist banal und doch möchte ich sie nicht hören.
Zum einen wird es erst dann leichter, wenn es leichter wird. Den Zeitpunkt bestimme nicht ich. Und es wird nicht schneller gehen, auch wenn ich es noch so sehr wünsche.
Und zum anderen ist es bereits jetzt leicht.
Wenn ich…
- mein Lieblingslied singe
- ein Bad mit Kerzen nur für mich mache
- mit meinen Kindern kuscheln kann
- meinem mittleren Sohn eine ausgiebige Kopfmassage gebe
- mit meiner Freundin telefoniere
- in meinem Lieblingsbuch lese
- meditiere
- durch den Park mit Achtsamkeit gehe
Nur der Verstand ist nicht einverstanden. Das Ego sagt: „Leichter ist es nur, wenn es dauerhaft ist.“
Zum Glück sind die Fragen der Work in mir lebendig. Und schon taucht die Frage auf: Ist das wahr?
Eine Freundin, bei der die Trennung schon einige Monate zurückliegt, hat mich nach dem langen Weinen gefragt: „Und wer sagt, dass es uns schlecht geht, wenn wir viel weinen?“
Gute Frage. Die hatte ich mir noch nie gestellt. Und doch ist da ein Glaubenssatz versteckt, den ich vorher bei mir nicht mal bemerkt hatte.
Mein Glaubenssatz dazu:
„Wenn ich viel weine, dann ist es schlecht“ oder auch „Wenn ich viel weine, dann geht es mir schlecht.“
Ich habe diesen Gedanken untersucht. Und das Gegenteil ist wahr.
Wenn ich wenig weine, dann geht es mir schlecht. Denn ich schlucke runter, was schon da ist. Ich reiße mich zusammen und passe auf, dass ja kein Gefühl rauskommt.
Und wenn ich unaufmerksam bin, und vergesse, mich zu beherrschen, dann fließen die Tränen ungefragt.
Im Bus, an der Kasse oder im Gespräch mit Kindern.
Schattenarbeit – eine Übung
Debbie Ford schlägt in ihrem Buch „Schattenarbeit“ folgende Übung vor.
Stelle dir vor, du sitzt im Bus. Der Bus ist voll mit Menschen. Alt, jung, schön, hässlich, dick, dünn, nackt oder angezogen. Diese Menschen sind Teile von dir, die du bisher nicht „haben“ wolltest. Es sind Anteile von dir, die du ablehnst.
Nun stelle dir vor, dass dein Blick über alle Menschen im Bus gleitet. Eine Person kommt mit dir mit. Ihr beide steigt aus dem Bus und du setzt dich neben diese Person auf eine Parkbank.
Beobachte sie. Wie ist diese Person angezogen? Wie alt? Welche Eigenschaften hat sie? Hast du Angst vor ihr? Oder findest du sie anziehend?
Atme einmal tief durch und stelle diese Frage:
„Was für ein Geschenk hast du für mich?“
Warte auf die Antwort. Sei geduldig und frage nochmal nach. Manche Personen sind sehr schüchtern.
Nun frage die Person:
„Was brauchst du, um ganz zu werden?“
Mit anderen Worten: Was benötigst du, um endlich von mir angenommen zu sein, um wieder ein willkommener Teil von mir zu sein?
Nachdem du die Antwort bekommen hast, frage die Person:
„Gibt es noch etwas, das du mir sagen möchtest?“
Nimm dir Zeit, um die Antworten sein zu lassen. Einfach da sein.
Schreibe deine Erkenntnisse 10 Minuten auf. Stelle dir den Wecker und schreibe, bis die Zeit um ist.
Meine Schattenarbeit
Ich habe diese Übung letzte Woche gemacht.
Eigentlich dachte ich, mehr kann kein Mensch weinen, aber was da aus mir herauskam, glich dem Bodensee.
Eine Frau erschien. Kurzer Haarschnitt. Wunderschöne Augen. Mitte Dreißig.
Ich fragte:
„Was für ein Geschenk hast du für mich?“
Und sie sagte: „Hab keine Angst, zu leuchten. Kehre nach innen und finde die Liebe in dir, die du im Außen suchst. Vertraue. Ich bin hier, um dir zu sagen, dass du stärker bist, als du denkst.“
„Was brauchst du, um ganz zu werden?“, fagte ich.
Sie sagte: „Werde still. Lauf nicht mehr vor dem Schmerz weg. Gehe da durch.“
Ich wurde wütend, fragte: „Wozu soll das gut sein? Warum muss ich so sehr leiden?“
Interessanter Weise haben meine starken Gefühle sie nicht im Geringsten gestört.
Sie antwortete nur: „Um zu leuchten.“
Und plötzlich war sie nicht mehr allein.
Tausende Frauen erschienen in meinem Tagtraum. Sie hatten alle möglichen Hautfarben. Sie sprachen in Sprachen, die ich nicht verstand. Und das war nicht nötig.
Ich hatte verstanden, dass ich mit meinem Schmerz keineswegs allein war. Und alle diese Frauen leuchteten.
Sie waren stark. Von innen.
Sie strahlten solche Ruhe aus, dass sie auf mich übersprang.
Als meine Person zum Bus zurückkehren wollte, fragte ich sie noch:
„Gibt es noch etwas, das du mir sagen möchtest?“
Und sie sagte: „Du bist fast da.“
„Wo?“, wollte ich wissen. Aber da war sie schon weg.
John McShane, ein bekannter Scheidungsanwalt, sagte einmal:
„Mir gefällt der Gedanke, dass ich eine Menge dafür bekomme, daher versuche ich stets, meinen Schmerz zu maximieren. Es wäre doch gelacht, wenn ich diesen Schmerz durchmachen würde, ohne einen Nutzen daraus zu ziehen.“
Ich weiß noch nicht, wozu das, was gerade geschieht, gut ist.
Ich vertraue darauf, dass die Kraft, die in mir ist, mich tragen wird. Dass das Leuchten durch den Schmerz erst ermöglicht wird.
Falls es dir wie mir geht, wisse:
Du bist nicht allein. Nimm meine Hand. Spüre die Wärme. Wir sind viele.
Sei großartig.
Sei du selbst.
Deine Tanja
P.S. Sind wir schon vernetzt?
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